Braudiele in Lübeck
Gotthardt Kuehl
Beschreibung
Mit seiner Heimatstadt Lübeck und ihrer Bildwelt blieb Kuehl zeit seines Lebens in Kontakt. Ein besonderer Reiz ging für ihn von rustikalen Lübecker Dielenräumen aus, die zur Darstellung genrehafter Alltagsszenen besonders geeignet waren. Auch die Braudiele ist als tiefer, hochformatiger Bühnenraum angelegt. Mit seinen großen, im Licht vielfach glänzenden Steinplatten und der massiven, alten Holzbalkendecke tritt die Raumarchitektur in den Vordergrund. Der auf der linken Seite tätige Arbeiter und der unterhalb des Fensters sitzende Herr nehmen sich in ihrer Bedeutung demgegenüber fast bescheiden aus. Durch seine ausgeprägt sensible Beobachtungsgabe für die Oberflächenwiedergabe der verschiedenen Materialien gelang Kuehl ein Meisterstück deutscher Interieurmalerei. Die besondere Stimmung der Diele erreichte Kuehl maßgeblich durch die gekonnte Lichtregie. Das Gegenlicht als raumschaffende Kraft erinnert an die Malerei eines Pieter de Hooch und Jan Vermeer. In Gestalt Liebermann’scher Sonnenflecken fällt es durch die rückseitige große Fensterfront auf den Steinboden, illuminiert die diffusen Staubpartikel und unterstreicht den impressionistischen Charakter des Bildes. Durch die tiefen Verschattungen im Vordergrund, die nur durch die Lichtspiegelungen in der Pfütze aufgehoben werden, gewinnt dieses Leuchten noch an Stärke und trägt zum pittoresken Geist des Gemäldes bei.
Provenienz
um 1890 – unbekannt Gotthardt Kuehl
unbekannt – 30. Mai 1921 Sammlung Dr. Deutsch, München, d. i. vermutlich Dr. med. Isidor Deutsch (1861[?]–1921)
30. Mai 1921 – spätestens 1931 vermutlich Sophie Deutsch, München, erworben im Erbgang von ihrem Ehemann
unbekannt – 12. Mai 1931 Galerie Hugo Helbing, Inh. Hugo Helbing, München
spätestens 1939 – unbekannt vermutlich Geheimrat Dr. jur. Heinrich Lippert, Berlin
unbekannt – 29. Januar 1943 Kunst-Auktionshaus Hans W. Lange, Berlin
seit 29. Januar 1943 Museen für Kunst und Kulturgeschichte Lübeck, angekauft von der Kunsthandlung Kunst-Auktionshaus Hans W. Lange, Berlin, für 8.625,- RM
Anhand eines Auktionskataloges der Kunsthandlung Hugo Helbing von 1931 ist es gesichert, dass das Gemälde aus der Sammlung eines Dr. Deutsch aus München stammt. Doch ob es sich tatsächlich um Dr. Isidor Deutsch und seine Frau handelt, ist nicht eindeutig zu klären. Geheimrat Lippert verhandelt über längere Zeit mit Museumsdirektor Schröder über ein Kuehl-Gemälde, das auf der Kuehl-Ausstellung 1939 im Behnhaus ausgestellt war. Ein Verkauf ans Museum kommt jedoch nicht zustande. In den Briefen ist die Rede von einem mit „Der Küfer“ bezeichneten Gemälde, was zunächst gegen die Identifizierung mit der „Braudiele“ spricht. Auf dieser befindet sich jedoch ein Klebezettel mit der Aufschrift „Lippert“. Es ist also möglich, dass es sich um ein und dasselbe Gemälde handelt. Im Jahr 1943 wird die „Braudiele“ in Berlin im Auktionshaus Hans W. Lange versteigert. Die vielen Lücken lassen keinen klaren Schluss zu und es kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass das Gemälde NS-verfolgungsbedingt entzogen wurde.